Gefährliche Schwellung am Hals

Was umgangssprachlich als Kropf bezeichnet wird, gilt in der Medizin als «Schilddrüsenschwellung am Hals» oder «Struma». Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts war der Kropf in der Schweiz weit verbreitet. Dank der Jodierung von Speisesalz sind heute hierzulande nur noch wenige Menschen davon betroffen.

Fabrice Müller

Die scheusslichen Kröpfe haben mich ganz und gar üblen Humors gemacht», schrieb der Dichter Johann Wolfgang von Goethe in einem Brief, als er 1779 die Schweiz besuchte. Dabei fielen ihm offenbar die Bewohner*innen des Kanton Wallis besonders auf. Doch nicht nur im Wallis, sondern in vielen Teilen der Schweiz und auch im übrigen Alpenraum waren damals Kröpfe an der Tagesordnung. Die ersten Beschreibungen zu Vergrösserungen der Schilddrüse stammen aus China, Ägypten und Indien – und sind über 4000 Jahre alt. In der Schweiz galt die Schwellung der Schilddrüse lange Zeit als eines der schwerwiegendsten Gesundheitsprobleme; weite Teile der Bevölkerung waren davon betroffen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts dürften je nach Gebiet bis zu 50 Prozent aller 15-Jährigen und bis zu 80 Prozent der Erwachsenen einen gut sichtbaren Kropf aufgewiesen haben. Die Vergrösserung der Schilddrüse wird umgangssprachlich als Kropf bezeichnet. Der medizinische Fachausdruck dafür lautet Struma.


Folge des Jodmangelsyndroms

Von einer Struma spricht man in der Medizin, wenn das Schilddrüsenvolumen bei einer Frau 18 Millimeter und bei einem Mann 25 Millimeter überschreitet. Die Gefahr eines Strumas ist bei Frauen höher als bei Männer. Als Grund wird die höhere Prävalenz der autoimmunen Grundkrankheiten und der erhöhte Jodbedarf in der Schwangerschaft vermutet. In 90 Prozent der Fälle entsteht ein Kropf durch ernährungsbedingten Jodmangel. Bei Jodmangel produziert der Körper zu geringe Mengen der Schilddrüsenhormone. Aus diesem Grund fühlen sich Betroffene abgeschlagen und schwach. Ausserdem können Beschwerden am Hals auftreten – zum Beispiel Druck- und Engefühle im Halsbereich, Einengung der Luft- oder Speiseröhre, verbunden mit Heiserkeit, Atem- und Schluckbeschwerden. Weiter steigt gemäss einem Bericht von VISCERA Bauchmedizin Bern mit einem Struma das Risiko, an Schilddrüsenkrebs zu erkranken, um das etwa Siebenfache.

Laut medizinischen Erkenntnissen steht die Struma in Verbindung mit dem sogenannten Jodmangelsyndrom, auch Kretinismus genannt. Selbst Neugeborene und Kleinkinder waren noch bis Ende des 19. Jahrhunderts und zum Teil darüber hinaus davon betroffen. Sie litten unter Entwicklungsstörungen sowie neurologischen Schäden, verkürzten Extremitäten und Sprachstörungen. Ein Kropf kann zu Schluckbeschwerden oder Atemnot führen, wenn die vergrösserte Schilddrüse auf die Luftröhre drückt.

Weil die Böden in der Schweiz kaum Jod enthalten, war das Land früher besonders stark vom Jodmangel betroffen. Gewisse Gegenden wie die Bergregionen im Wallis und Waadtland sowie die Region rund um Basel bzw. Riehen BS galten vor der Kochsalz-Jodierung als Endemiegebiet.


Der Verzehr von jodiertem Salz unterstützt eine gesunde Schilddrüsenfunktion und beugt Kropfbildung vor.


Drei Schweizer Ärzte als Pioniere

Abseits der grossen Forschungsinstitute und Universitäten waren es drei Schweizer Landärzte, die sich mit dem Kropf-Problem befassten und erfolgreich Tests mit Jod durchführten. Heinrich Hunziker (1879–1982), Hausarzt in Adliswil ZH, zeigte in einem Vortrag 1914 auf, dass die Entstehung des Kropfes mit der jodarmen Ernährung zusammenhängt. Der Arzt schlug eine Therapie mit geringer Dosierung von Jod vor. Der Allgemeinarzt Otto Bayard (1881–1957) aus Zermatt führte ab 1918 systematische Tests zur Wirkung von Jod im Salz durch. Die Massnahme erwies sich als Erfolg – die Schilddrüsen der Betroffenen waren deutlich weniger geschwollen als zuvor.

Nun kam der dritte Schweizer Landarzt ins Spiel: Der Chirurg Hans Eggenberger (1881–1946) aus dem Kanton Appenzell-Ausserrhoden startete eine Kampagne, mit der er sich für die Jodierung von Kochsalz aussprach. Er initiierte eine erfolgreiche Volksabstimmung für die Einführung von Jodsalz. 1922 stimmte die Bevölkerung dieser Idee mehrheitlich zu. Daraufhin schrieb der Kanton Appenzell-Ausserrhoden als erster Kanton die Jodbeifügung zum Kochsalz gesetzlich vor. Schon bald folgten auch die übrigen Kantone diesem Beispiel. Seit 1930 ist jodiertes Salz in der Schweiz überall erhältlich. Die Zahl der Kröpfe hat sich in der Schweiz dadurch stark verringert. Das Modell der Jodmikrodosierung verbreitete sich in vielen Teilen der Welt. In Deutschland allerdings kennt man keine gesetzliche Verordnung; seit 1981 darf Jodsalz jedoch ohne den Hinweis «Nur bei ärztlich festgestelltem Jodmangel» verkauft werden. Seit 2007 gilt Deutschland zwar nicht mehr als Jodmangelgebiet, aber etwa ein Drittel der Deutschen leidet heutzutage wieder an Jodmangel. Laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO sind weltweit etwa 750 Millionen Menschen davon betroffen.

«Seit 1930 ist jodiertes Salz in der Schweiz überall erhältlich.»


Bern und Riehen

Bevor Jod als prophylaktisches Mittel gegen die Kropfbildung entdeckt und eingesetzt wurde, mussten die Kröpfe meist operativ entfernt werden. Schon in der Antike wurden solchen Kropfoperationen vorgenommen, wie Aufzeichungen zeigen. Hierzulande begann der bekannte Chirurg Christian-Theodor Billroth um 1850 mit der operativen Entfernung von Knotenkröpfen – eine damals gefährliche Operation mit oft tödlichen Komplikationen. In den Jahren 1860 bis 1867 operierte er in Zürich 20 Kröpfe. 40 Prozent der Patient*innen verstarben. Deshalb riet der erfahrene Operateur dringend von diesen Eingriffen ab.

Professor Theodor Kocher, der spätere Nobelpreisträger für Medizin, 1872 als Chirurg an die Universitätsklinik Bern berufen, wurde weltweit durch seine Fälle von operativen Schilddrüsenentfernungen bekannt. Bern war somit lange Zeit das führende Zentrum für Schilddrüsenchirurgie in Europa. Im Spital Riehen entwickelte sich die Schilddrüsenchirurgie zu einem Schwerpunkt in der operativen Medizin. Zu verdanken hatte dies das Diakonissenspital seinem chirurgischen Leiter Ludwig Georg Courvoisier. Der 28-Jährige wurde 1871 ans Spital Riehen berufen und machte sich mit seinen Kropfoperationen einen Namen.


Ultraschall oder Szintigrafie

Wie wird ein Kropf heute diagnostiziert? Durch das Abtasten des Halses erhält die Ärztin oder der Arzt Hinweise auf die Beschaffenheit der Schilddrüse. In der Ultraschalluntersuchung zeigt sich die Grösse und Lage der Schilddrüse; zudem werden dank Ultraschall knotige Gewebeveränderungen sichtbar. Bei Knoten in der Schilddrüse wird häufig eine Szintigrafie, sprich, eine nuklearmedizinische Untersuchung durchgeführt. Letztere macht den Stoffwechsel der Schilddrüse sichtbar. Ein schwach radioaktiver Stoff wird dabei in die Armvene gespritzt. Er reichert sich in aktiven Bezirken der Schilddrüse an. Weiter werden mit feinen, dünnen Nadeln Gewebeproben entnommen und im Labor untersucht. Diese Untersuchung gibt Hinweise darauf, ob es sich um gut- oder bösartige Veränderungen oder um Entzündungen des Gewebes handelt.

«Mit einer richtigen Ernährung kann der Bildung des Jodmangel-Kropfs vorgebeugt werden.»


Medikamente oder Operation

Die Behandlung kann heute medikamentös oder chi­-rurgisch erfolgen. Je jünger die Betroffenen sind, umso mehr Erfolg verspricht die alleinige Abgabe von Jodidtabletten. Alternativ kommt bei Erwachsenen die Kombination von Jodid mit einem synthetisch hergestellten Schilddrüsenhormon in Frage. Unter dieser Kombinationstherapie soll die Schilddrüse meist innerhalb von 12 bis 18 Monaten schrumpfen. Eine weitere Behandlungsart ist Radiojodtherapie. Dabei wird die Schilddrüse örtlich durch radioaktive Jodmoleküle bestrahlt. Diese Behandlung wird häufig bei Schilddrüsenkrebs und krankhafter Überaktivität der Schilddrüse angewendet. Besteht eine Struma bereits über einen längeren Zeitraum hinweg, lässt sie sich mit Medikamenten häufig nicht mehr behandeln und muss chirurgisch entfernt werden. Bei Krebsverdacht ist eine Operation zwingend. In der Regel wird bei einer Struma nur ein Teil der Schilddrüse entfernt, damit ein ausreichend grosses und funktionierendes Stück des Organs bestehen bleibt. Dadurch entfällt für die Patient*innen die lebenslange Einnahme der Schilddrüsenhormone. Bei einer vollständigen Entfernung der Schilddrüse sind die Betroffenen für den Rest ihres Lebens auf die Einnahme von Schilddrüsenhormonen in Tablettenform angewiesen.


Jodmangel-Kropf vorbeugen

Mit einer richtigen Ernährung kann die Bildung des Jodmangel-Kropfs vorgebeugt werden. «Wichtig ist, auf eine vollwertige, abwechslungsreiche Ernährung zu achten, die jodreiche Lebensmittel enthält», betont Professor Gerhard Huber, Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten an der Klinik Hirslanden in Zürich. Konkret empfiehlt Gerhard Huber den täglichen Verzehr von Milch und Milchprodukten, von Seefisch ein- bis zweimal pro Woche, die konsequente Verwendung von Jodsalz im Haushalt sowie der bevorzugte Kauf von Lebensmitteln, die mit Jodsalz hergestellt werden.

Hingegen kann ein hoher Konsum von Kohl, Rettich, Mais und Hirse die Jodaufnahme in die Schilddrüse verhindern. Ursache dafür ist das enthaltene Thiocyanat, wie Gerhard Huber erklärt. Cyanate bilden sich auch beim Zigarettenrauchen, das ebenfalls einen kropfbildenden Effekt zur Folge hat. Störend auf den Jodstoffwechsl wirkt sich zudem ein Mangel an Selen, Zink und Eisen aus.

 

Nur noch 3,9 Prozent Struma-Prävalenz

Die letzte epidemiologische Studie, die sich mit der landesweiten Verbreitung von Strumen in der Schweiz befasste, stammt aus dem Jahr 1999 und umfasste 600 sechs- bis zwölfjährige Kinder. Die Struma-Prävalenz lag dabei bei 3,9 Prozent und somit unter dem Grenzwert von fünf Prozent, ab dem die WHO Strumen als Problem für die Volksgesundheit ansieht. Somit weisen die aktuellen Daten für die Schweiz auf eine ausreichende Jodversorgung von Schulkindern hin.

Zurück zum Blog